Sozial-emotionales Lernen – eine neue Kernaufgabe von Schulen:
Bei unserem letzten großen Prompt zu Freundlichkeit haben wir gesehen, dass Freundlichkeit als Ausdruck von Mitgefühl ein Teil unserer menschlichen Natur ist. Wir müssen sie im Wesentlichen nicht erlernen, denn sie zeigt sich spontan, wenn die Situation danach ist. Etwas zugespitzt können wir daher in Bezug auf die Schule sagen: Wir müssen Freundlichkeit einfach nur zulassen, sowohl bei uns als auch bei den Schüler:innen, dann kommt sie von selbst auf. Alles, was zu tun ist, ist eine Schulkultur zu schaffen, die ihr nicht im Wege steht, und wir sollten selbst ein Modell für freundliches Verhalten sein.
Insofern war es berechtigt, dass von euch die Frage kam: Ist Freundlichkeit nicht selbstverständlich? Ja, in gewisser Weise ist sie das. Aber es ist dennoch kein uneingeschränktes Ja, denn es gibt für sie faktisch auch viele Hindernisse. (Die Details dazu überlasse ich eurer eigenen Reflexion.)
Aber wie sieht es dann mit den vielen anderen Formen des Sozialverhaltens aus, also mit dem, was in alten Schulzeugnissen „Betragen“ genannt wurde? Ist gutes Betragen/ gutes Sozialverhalten auch selbstverständlich – sei es als Teil unserer menschlichen Natur oder als (scheinbar natürliche) Folge erfolgreicher frühkindlicher Erziehung –, so dass wir es in der Schule einfach voraussetzen können? Die Antwort darauf wird in den meisten Fällen heute eher nein sein, denn zu offensichtlich sind die Defizite und Probleme.
Wir müssen in der Schule heute anerkennen, dass kompetentes Sozialverhalten nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Da es aber eine wichtige Lernvoraussetzung ist, müssen wir es in der Schule planmäßig fördern. Damit wird sozial-emotionales Lernen zu einem wichtigen Teil des Lehrplans. Aus den (beiläufig erworbenen) soft skills der Vergangenheit sind heute die (gezielt zu vermittelnden) hard skills der digitalen Gesellschaft geworden. Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Zum einen können angemessenes Sozialverhalten und Selbstregulationsfähigkeit nicht mehr wie selbstverständlich im Alltagsleben erworben werden (als Teil der Sozialisation). Dazu sind die Anforderungen heute zu komplex, zu veränderlich und zu spezifisch und die alltäglichen Lerngelegenheiten zu gering.
- Zum anderen sind die Schüler:innen so vielen Belastungsfaktoren ausgesetzt, dass ihre psychische Stabilität und Selbstregulationsfähigkeit nicht mehr in allen Fällen gegeben ist. Die Schule muss daher heute psychische Gesundheit als grundlegende Lernvoraussetzung gezielt pflegen.
- Hinzu kommt noch, dass soziales Verhalten auch die Teilhabe an der demokratischen Gesellschaft umfasst. Dies ist in einer differenzierten postmodernen Gesellschaft mit diversen Subkulturen und im Rahmen einer globalisierten Welt keine einfache Sache. Zum sozialen Lernen gehört damit auch eine politische Bildung auf der Höhe der Zeit, die im sozialen Leben der Schule beginnt und die den demokratiefeindlichen Tendenzen in unserer Gesellschaft das erfahrungsbasierte Erlernen eines demokratischen Umgangsstils entgegensetzt.
Wie es zu dieser neuen Situation gekommen ist, welche Bereiche dieses sozial-emotionale Lernen umfasst, wie Lehrer:innen die dafür erforderlichen professionellen Kompetenzen erwerben können und was das alles mit Achtsamkeit und Mitgefühl zu tun hat, das versucht dieser Leittext hier darzustellen:
>> Leittext Sozial-emotionales Lernen
(Hier findet ihr denselben Text etwas schöner gesetzt und als zitierfähige Veröffentlichung, nur sind die Abbildungen oft an der falschen Stelle.)
Vielleicht mögt ihr nach dem Lesen noch folgende Fragen reflektieren und unten etwas dazu posten:
- Welche Erfahrungen mache ich mit dem Sozialverhalten und der Selbstregulationsfähigkeit meiner Schüler:innen?
- Wie unterstütze ich die Schüler:innen dabei, diese Fähigkeiten zu entwickeln? Und:
- Welche sozialen und emotionalen Kompetenzen brauche ich als Lehrperson dafür?