Freundlichkeit im Alltag – eine Übung für jeden Tag:

In diesem Prompt kommen wir noch einmal auf das Thema Freundlichkeit zurück. Sie ist so wichtig und so erfreulich, dass man gar nicht genug von ihr bekommen und genug über sie sprechen kann.

Dabei wird sie leicht übersehen. Freundlichkeit ist so alltäglich, dass sie unserer Aufmerksamkeit oft entgeht. Sie ist das kleine persönliche Add-on zu den sachlichen Abläufen des Alltags, das wir verpassen, wenn wir nur auf den Sachvorgang schauen. Sie ist

– der Augenkontakt in Routine-Interaktionen,
– das Lächeln an der Kasse,
– die Rücksichtnahme im Straßenverkehr,
– das „Danke“- und „Entschuldigung“-Sagen in den gelingenden und nicht ganz gelingenden Situationen des Alltags,
– das gekritzelte Herz auf dem Post-it im Büro oder in der Wohngemeinschaft,
– das Emoji in einer Mail, das freundliche Bedeutung signalisiert,
– die Aufmerksamkeit auf die Bedürfnisse anderer in der Öffentlichkeit (den Weg zeigen, am Fahrkartenautomaten helfen),
– der Gruß im Treppenhaus und das für die Nachbarn entgegengenommene Paket
– oder der freundliche Umgangston in einer Behörde (ja, sogar in Österreich gibt es den!).

Wenn wir diese kleinen Gesten bemerken und „persönlich nehmen“ (und das sollten wir in diesem Fall), dann entsteht daraus oft Freude auf beiden Seiten und die sachlichen Interaktionen gelingen leichter.

Auch im Schulalltag gibt es solche kleinen freundlichen Akte, die nicht im Stundenplan stehen, die die Schulkultur aber umso wirksamer prägen. Hier ein paar Beispiele, die von Lehrpersonen ausgehen können:

– Die willkommen heißende Begrüßung am Morgen,
– ein offenes Zuhören angesichts einer leidvollen Erfahrung,
– das respektvolle Übergeben eines Hefts nach einer Korrektur,
– der freundliche Blickkontakt mit wechselnden Schüler:innen während eines Inputs,
– die Anerkennung der Anstrengung auch hinter einer schlechten Note,
– ein gelegentliches Lob auch bei vermeintlichen Selbstverständlichkeiten,
– beiläufige Signale des Wissens um persönliche Interessen und Lebenslagen,
– die Nachsicht bei einer nicht erfüllten Erwartung (ohne diese ganz aufzugeben),
– das Bemühen um ein tieferes Verstehen bei auffälligem Verhalten (auch wenn es provokant sein sollte),
– das Ernstnehmen von Anliegen, auch wenn diese an der Oberfläche „kindisch“ erscheinen,
– der unaufdringliche Tipp, der eine schwere Aufgabe lösen hilft, u.v.m.

Hinzu kommt noch die Fähigkeit, die kleinen, teils stürmischen, teils verhaltenen oder noch nicht so gekonnten Freundlichkeiten von Schüler:innen wahrzunehmen und angemessen zu erwidern.

Diese kleinen Freundlichkeiten sind in der Schule nicht wirklich „Add-Ons“ (wie die oben beschriebenen Beispiele aus dem Alltagsleben), denn das würde bedeuten, dass man sie auch weglassen könnte. Sie sind im Gegenteil essenzielle Marker pädagogischer Professionalität. Diese baut ganz zentral auf den sozial-emotionalen Kompetenzen von Lehrpersonen auf und beinhaltet z. B. das Aufrechterhalten einer zweiten Ebene freundlicher Mikro-Interaktionen (neben den inhaltlichen Themen), das laufende Wahrnehmen und Bestätigen von Positivem, das Nicht-Reagieren auf potenzielle Auslöser aversiver Reaktionen, den Mut und die Präsenz zu einem sekundenschnellen authentischen Kontakt, das Wissen um den Hunger der Schüler:innen nach Wertschätzung und Gesehen-Werden – wie überhaupt der generell wohlwollende Umgang mit den oftmals schwierigen Themen des Aufwachsens. Diese sozial-emotionalen Kompetenzen sind der eigentliche Kern pädagogischer Professionalität. An ihnen zeigen sich sowohl Meisterschaft in intergenerationeller Kommunikation als auch pädagogische Expertise der Lehrperson, und diese sind meist wichtiger als fachliche Virtuosität.

>> Exkurs: Die große Freundlichkeit in herausfordernden Momenten
(Dieses Kapitel über “große Freundlichkeiten” ist nur für die, die gerne noch ein bisschen mehr lesen möchten.)

Zurück zu den kleinen Freundlichkeiten und zurück zu uns selbst:
Wie erlebst du Freundlichkeit im Alltag – sei es in oder außerhalb der Schule?

Bitte erzähle uns in deinem Post von einer Situation, in der dir besondere Freundlichkeit begegnet ist – unabhängig davon, ob du die gebende, empfangende oder beobachtende Person warst.
Was hat das mit dir gemacht?

P.S.: Wenn dir nichts aus der Vergangenheit einfällt, dann kreiere dir doch einfach ein paar neue Erfahrungen. Du kannst z. B. eine Woche lang jeden Tag einen Random Act of Kindness machen. Das heißt, du bist zu einer beliebigen Person, die dir gerade über den Weg läuft, freundlich – egal wer, egal wo, egal in welcher Form. Genau diese Zufälligkeit und Unterschiedslosigkeit macht es aus: Wenn die Freundlichkeit nicht von den Eigenschaften der anderen Person oder eurer Beziehung abhängt, dann zeigt sie umso deutlicher, wer du bist und wie du sein möchtest.

P.P.S.: Hier findet ihr wie versprochen den kurzen Text mit den Anregungen zum Sprechen und Zuhören in der Inquiry, den ich beim letzten Meeting vorgelesen habe:
>> Anregungen für das Sprechen und Zuhören in der Inquiry.
Unser nächster Prompt wird sich ausführlicher mit dem Thema Inquiry befassen.